Gute Konkurrenz? Teil 4: Konkurrenz kann zu besseren Regeln und Ergebnissen führen
Verehrte Leserinnen und Leser, als positive Aspekte der Konkurrenz wurden in dieser Serie bisher thematisiert: Aktivierung (1), Förderung der Selbstentwicklung (2), Effizienzsteigerung und Ergebnismessung (3). Heute ergänze ich diese um weiteres positives Potenzial, nämlich um die mögliche Erhöhung der Qualität von Regeln und Ergebnissen.
In Gesprächen und auch in meinem eigenen Erleben begegnen mir immer wieder negative Vorurteile gegenüber Wettbewerbsverhalten. Die in dieser Serie vorgenommene wohlwollende Annäherung an das Konkurrenzprinzip beginnt nach und nach, diese festgefügten Haltungen zu lockern und Ansatzpunkte zu identifizieren, mit denen wir Konkurrenz konstruktiv in unsere Beziehungsgeflechte integrieren können.
Wer von Euch ist beispielsweise nicht an besseren Regeln für alle InteraktionsteilnehmerInnen interessiert oder an der wirksamsten Lösung für die drängstendsten Erfordernisse unserer Zeit?
Pluspunkt 5: Konkurrenz kann Regeln verbessern
Für einen guten Wettbewerb sind Fairness und Respekt grundlegend. Wenn ich der Konkurrenz ausweiche, verpasse ich die Möglichkeit, eine faire und respektvolle Interaktion zu erleben und selbst mitzugestalten.
Im guten Wettbewerb verhalten sich die TeilnehmerInnen wertschätzend und achten die eigenen Grenzen und die des Gegenübers. Wenn ich Konkurrenz vermeide, verpasse ich die Möglichkeit, in der Interaktion eigene und fremde Grenzen wahrzunehmen und Wertschätzung zu üben und zu erfahren.
Wenn ich an einem Wettbewerb teilnehme, habe ich die Möglichkeit, mich mit den anderen TeilnehmerInnen konstruktiv über die Wettbewerbsregeln zu verständigen. Wenn ich mich aus dem Wettbewerb ausklinke, kann meine Perspektive nicht in die Verhandlung um bessere und gerechtere Regeln einfließen.
Im guten Wettbewerb sind der Bewertungsprozess und seine Kriterien transparent und protokolliert. Wenn ich an einem solchen Wettbewerb nicht teilnehme, mache ich nicht die Erfahrung des Vertrauens und der Sicherheit, die von einer klaren Regelgrundlage für die Interaktion ausgeht. Und ich kann nicht daran mitwirken, diese transparente und vertrauensfördernde Grundlage gemeinsam mit anderen TeilnehmerInnen herzustellen.
Die Aushandlung von fairen Regeln im Wettbewerb kann zu einer grundlegenden Verständigung über Gerechtigkeit führen. Wenn ich am Wettbewerb nicht teilnehme, verpasse ich es, diesen Diskurs hautnah zu verfolgen, die Perspektiven der anderen TeilnehmerInnen kennenzulernen, meine Perspektive einzubringen und zu verstehen, wie anspruchsvoll es ist, faire Regeln zu entwickeln.
An Wettbewerb ist generell gut, dass es auch einen Wettbewerb um faire Spielfelder gibt. Ist eine Konkurrenzsituation grundlegend unfair angelegt, habe ich die Möglichkeit, den Wettbewerb abzubrechen und mir neue MitspielerInnen auf anderen Spielfeldern zu suchen. Gäbe es keinen Wettbewerb, hätte ich nur die Möglichkeit, in der unfairen Situation zu bleiben oder mich ganz zurückzuziehen.
Demokratie ist ein System politischen Wettbewerbs. Wenn ich dieses System nicht wertschätze, laufe ich Gefahr, dem Wunsch nach Komplexitätsreduktion nachzugeben und den Ausschluss von TeilnehmerInnen, Perspektiven und Lösungsvorschlägen am politischen Wettbewerb direkt oder indirekt zu fördern. Wenn ich mich selbst nicht als TeilnehmerIn dieses Systems begreife, können meine Problemwahrnehmungen und Lösungsvorschläge nicht in den demokratischen Wettbewerb einfließen.
Pluspunkt 6: Konkurrenz kann die Qualität des Ergebnisses steigern
Wettbewerb kann mich dazu anregen, etwas Besseres als das Vorhandene zu tun oder zu erfinden. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich den Status Quo nicht hinterfrage.
Wettbewerbe können mich anspornen, mehr Mühe, Sorgfalt und Eile in ein Vorhaben zu investieren. Ohne den Wettbewerb kann es passieren, dass die Lösung nicht ausreichend durchgearbeitet ist und zu spät auf einen drängenden Veränderungsbedarf antwortet.
Ich kann auch mit mir selbst konkurrieren, um die eigene Leistung oder die von mir vorher produzierte Lösung zu übertreffen. Ohne diesen Antrieb könnte ich in einen Stillstand geraten und mich mit Leistungen und Lösungen abfinden, die meine eigenen Veränderungsbedarfe oder die meiner Zielgruppe nicht adäquat erwidern.
Der Druck der Konkurrenz kann Lösungen für drängende Veränderungsbedarfe hervorbringen, die diesen Bedarfen innovativer, spezifischer, hochwertiger, schneller und / oder preisgünstiger begegnen als andere bzw. bereits vorhandene. Auch wenn ich an diesem Wettbewerb nicht unmittelbar teilnehme, kann es sein, dass ich als NutzerIn der Lösungen von diesem Wettbewerb profitiere. Ohne Konkurrenz könnte es passieren, dass existierende Lösungen nicht wirksam genug sind, für zu wenige Menschen zugänglich sind oder zu spät eintrudeln.
Durch die Teilhabe am Wettbewerb, eine wachsende Anzahl an WettbewerbsteilnehmerInnen und den Vergleich unter ihnen setzen sich gute Dinge (z.B. faire und nachhaltige Produkte und Services) nach und nach durch. Ohne Wettbewerb kann es passieren, dass eine solche langfristige, durch viele Faktoren befeuerte Dynamik nicht in Gang kommt oder zu schnell wieder verebbt.
Soweit der fünfte und sechste Konkurrenz-Pluspunkt »Konkurrenz kann Regeln verbessern« und »Konkurrenz kann die Qualität des Ergebnisses steigern«.
Findet Ihr auch, dass fairere Regeln und wirksamere Ergebnisse starke Argumente für das Konkurrenzprinzip sind? Wie können unsere alltäglichen Wettbewerbe so ausgestaltet werden, dass sie diese wünschenswerten Früchte hervorbringen? Es lohnt sich, die Interaktionen in unseren Beziehungen, Teams, Familien und Organisationen unter die Lupe zu nehmen, unsere Phantasie zu mobilisieren und individuell und kollektiv zu beginnen, mit unseren Interaktionen zu experimentieren.
Nun sind schon sechs Pluspunkte für gute Konkurrenz veröffentlicht. Ich verrate heute, dass noch vier weitere sehr wesentliche auf Euch warten, zwei davon demnächst in Teil 5 dieser Serie, verehrte Leserinnen und Leser!
Gute Konkurrenz? Teil 3: Konkurrenz kann Effizienz mehren und Leistungsmessung ermöglichen
Verehrte Leserinnen und Leser, in Teil 1 und 2 dieser Serie ging es darum, dass Konkurrenz in der Lage ist, uns zu aktivieren und unsere Selbstentwicklung zu fördern. Heute kommen zwei weitere positive Aspekte ins Spiel — die mögliche Mehrung der Effizienz und die Leistungsmessung.
Diese Kern-Aspekte ökonomischen Denkens und Handelns gehören in eine vollständige wohlwollende Betrachtung des Konkurrenzprinzips, die das Ziel dieser Serie ist, vorausgesetzt, dass Effizienz und Leistungsmessung als etwas Gutes betrachtet werden.
Pluspunkt 3: Konkurrenz kann Effizienz mehren
Wenn ich an einem Wettbewerb teilnehme, habe ich im Vergleich z.B. zur Kooperation geringere Koordinationskosten, da ich mich nur auf meine eigene Leistung konzentrieren muss. Wenn ich das gleiche Ziel durch Kooperation oder Konflikt anstrebe, kann es zu wesentlich mehr Abstimmung und Reibung mit InteraktionspartnerInnen und damit Energieverlust kommen.
Durch meinen Wettbewerbsbeitrag nehme ich an einem Prozess teil, der die Auswahl, Entscheidung und Prioritätensetzung unter verschiedenen Beiträgen begünstigt. Mit der auf diese Weise ermittelten besten Lösung kann im Anschluss effizient weitergearbeitet werden, ohne die ausgeschiedenen Optionen weiter zu berücksichtigen. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass die beste Lösung nicht ermittelt werden kann und dass Entscheidungen und Prozesse blockiert werden.
Pluspunkt 4: Konkurrenz ermöglicht Leistungsmessung
Wenn ich an einem Wettbewerb teilnehme, habe ich die Möglichkeit, meine eigene Leistung zu erkennen und anzuerkennen. Ohne den Vergleich mit der Konkurrenz kann es passieren, dass mir meine Kräfte nicht bewusst werden.
Wenn ich an einem Wettbewerb teilnehme, kann ich durch das Kräftemessen lernen, mich selbst einzuschätzen. Ohne den Vergleich mit anderen, die ebenfalls ihre Kräfte mobilisieren, kann es passieren, dass ich meine Kräfte unter- oder überschätze.
Wenn ich in einem Wettbewerb kompetente externe Beurteilung erfahre, kann ich auch dadurch meine Selbsteinschätzung verbessern. Ohne diese externe Kompetenz kann es passieren, dass mir Entwicklungshinweise fehlen, die ich selbst nicht sehen kann.
Wenn ich an einem Wettbewerb teilnehme, kann ich lernen, mit Fremdfeedbacks und Beurteilungen umzugehen. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich mich nur um mich selbst drehe, dass ich Spiegelung von außen abwehre und dass meine Fähigkeiten ohne Weltbezug bleiben.
Wenn ich Teil eines Wettbewerb bin, kann ich dazu beitragen, dass die besseren Lösungen und Ergebnisse identifiziert werden können. Ohne meine Wettbewerbsbeteiligung kann es passieren, dass mein potenziell guter Lösungsvorschlag unerkannt und damit unwirksam bleibt. Ohne Wettbewerb kann es passieren, dass ein überlegener, u.U. dringend benötigter Lösungsvorschlag garnicht ermittelt werden kann.
Soweit der dritte und vierte Konkurrenz-Pluspunkt »Konkurrenz kann Effizienz mehren« und »Konkurrenz ermöglicht Leistungsmessung«.
Können Euch diese beiden Pluspunkte für »gute Konkurrenz« erwärmen oder braucht Ihr noch andere Argumente, um Euch damit anzufreunden? So oder so ist meine Darstellung hier bewusst einseitig gehalten, um den Blick für die positive Seite dieser Interaktionsform zu schärfen. Ebensogut könnte man eine Sammlung negativer Facetten erstellen, was nicht schwerfallen dürfte. Wir blicken hier aber vorübergehend durch eine rosarote Brille, um zu erfahren, ob uns diese Sichtweise dabei hilft, immer und überall vorhandene Konkurrenz in eine kultivierte Form zu bringen. Die einzelnen Facetten können Ansatzpunkte der Kultivierung sein.
Die Bandbreite der Pluspunkte ist noch nicht aufgefächert. Bleibt mit mir am Ball und freut Euch schon heute auf Teil 4, in der wir erneut die positive Sichtweise auf Konkurrenz austesten, verehrte Leserinnen und Leser!
Gute Konkurrenz? Teil 2: Konkurrenz fördert Selbstentwicklung
Verehrte Leserinnen und Leser, im Teil 1 dieser Serie über »gute Konkurrenz« ging es darum, dass Konkurrenz in der Lage ist, uns zu aktivieren. Jetzt geht es um einen weiteren positiven Aspekt — die Förderung der Selbstentwicklung.
Das Ziel dieser Serie ist eine wohlwollende Annäherung an das Konkurrenzprinzip: Dieses ist aus meiner Sicht untrennbar mit Kooperation und Konflikt verbunden, wie ich ausführlich in Teil 1 und ausführlicher in meiner Masterthesis betrachtet habe. Wenn Konkurrenz de fakto aus menschlichen Interaktionen nicht wegzudenken ist, führt es nicht weiter, sie ausgrenzen zu wollen.
Die Vision ist die Kultivierung von Konkurrenz: Der Weg dahin führt zum einen über die Auseinandersetzung mit unserer individuellen Einstellung zu Konkurrenz. Zum anderen kann ein Dialog in Gruppen, Teams und Organisationen dazu führen, destruktive Konkurrenz zu entlarven und gemeinsam Formen »guter Konkurrenz« zu finden und zu erproben.
Dabei kann der Fokus auf den folgenden Aspekt unterstützen:
Pluspunkt 2: Konkurrenz fördert Selbstentwicklung
Wenn ich Konkurrenz erlebe, kann in mir Veränderungswille entstehen. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass es keine Impulse von außen gibt, die mich in eine Bewegung hin zum Besseren bringen.
Durch Konkurrenz kann ich sehen und erleben, was noch möglich ist. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass mir (Vor-)Bilder und Gefühlszustände fehlen, die in mir den Wunsch erzeugen, meinen Status Quo zu erweitern.
Konkurrenz kann mich dazu bringen, nicht beim Status Quo stehenzubleiben. Ohne Konkurrenz kann es passieren, das alles so bleibt wie es ist — im Guten wie im Schlechten.
In Konkurrenz kann ich die Möglichkeit ergreifen, über mich selbst hinauszuwachsen, und herausfinden, was meine eigene Höchstleistung ist. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich Entwicklungsmöglichkeiten nicht sehe und nicht erlebe, wozu ich fähig bin.
Wettbewerb kann mich dazu bringen, gut abschneiden zu wollen und Ehrgeiz zu entwickeln. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich meine Fähigkeiten nicht fördere und anwende.
Wenn ich mich dem Wettbewerb aussetze, kann mich das dazu anregen, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, um zu wachsen, mich selbst zu definieren, zu kennen, zu wissen, was ich kann, wohin ich will und wofür ich das, was ich tue, mache. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich nicht in die Selbsterforschung und Selbstentwicklung einsteige.
Konkurrenz kann mich dazu bringen, an mein eigenes Potenzial zu glauben, auch indem ich im Wettbewerbsfeld Menschen erlebe, die an ihr Potenzial glauben und die mich und andere ermutigen, an ihr Potenzial zu glauben. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass mein Potenzial unbemerkt und unterbewertet bleibt — von mir und anderen.
Konkurrenz kann mich dazu bringen, in mein eigenes Potenzial zu investieren, im Wettbewerbsfeld Menschen zu erleben, die ebenfalls in ihr Potenzial investieren und die mich und andere ermutigen, in ihr Potenzial zu investieren. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass mir Risikobereitschaft und Förderung von anderen fehlen, um mein Potenzial ernstzunehmen und tatkräftig zu entwickeln.
Konkurrenz kann mich dazu bringen, mit meinem eigenen Potenzial zu arbeiten, im Wettbewerbsfeld Menschen zu erleben, die mit ihrem Potenzial arbeiten und die mich und andere ermutigen, mit ihrem Potenzial zu arbeiten. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich nicht in eine intensive, potenzialfördernde Interaktion mit mir selbst — auch im Austausch mit anderen — eintrete und dazu von anderen ermutigt werde.
Meine intrinsische Motivation kann mich dazu bringen, an einem Wettbewerb teilzunehmen und meine Leidenschaft zu erproben. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass meine Leidenschaft ohne Spielfeld nur auf kleiner Flamme brennt oder sogar ganz erlischt.
Konkurrenz kann mich dazu bringen, meinen Mut zu beweisen, das Risiko einzugehen, zu gewinnen oder zu verlieren und mit der eigenen Leistung — so oder so — sichtbar zu werden. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich mich ängstlich in der Komfortzone verstecke, um nicht schlecht — aber auch nicht gut — dazustehen.
Konkurrenz kann mich dazu bringen, stolz auf meine eigene Leistung zu sein, die ich im Wettbewerb erleben kann und die für andere sichtbar wird. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass mir meine Fähigkeiten nicht bewusst werden und dass ich für andere Menschen nicht greifbar bin.
Ich kann im Wettbewerb bei mir bleiben, ohne mich auf persönlicher Ebene zu vergleichen, und gleichzeitig durch Vorbilder inspiriert und motiviert werden. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich das fruchtbare Spannungsfeld von Selbstzentrierung im gleichzeitigen Kontakt mit Vorbildern nicht auszubalancieren lerne.
Ich kann im Wettbewerb meine eigenen Werte und Bedürfnisse berücksichtigen. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich meine Werte und Bedürfnisse nicht unter Beweis stellen muss und damit die Chance vergebe, eine kompetitive Interaktion werteorientiert zu gestalten — auch zum Nutzen der anderen Beteiligten.
Soweit der zweite Konkurrenz-Pluspunkt »Konkurrenz fördert Selbstentwicklung«.
Werden für Euch die Möglichkeiten schon spürbarer, die in »guter Konkurrenz« schlummern? Wie könnte eine konkrete Anwendung in Euren beruflichen und privaten Zusammenhängen aussehen? Wie könnt Ihr Konkurrenz werteorientiert leben und ihre Kraft für Eure Selbst- und Teamentwicklung nutzen? Mit wem möchtest Du ein Gespräch zu destruktiver und »guter Konkurrenz« beginnen?
Ich wünsche mir, dass Euch diese Sichtweise neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Und das ist noch lange nicht alles, was über »gute Konkurrenz« zu sagen ist. Seid deshalb jetzt schon gespannt auf Teil 3 mit dem nächsten Konkurrenz-Pluspunkt, verehrte Leserinnen und Leser!
Was ist das Gute an Konkurrenz? Teil 1: Konkurrenz aktiviert
Verehrte Leserinnen und Leser, heute greife ich einen Themenkomplex auf, der mich seit langem beschäftigt. Ich erlaube mir, hier und heute einen frischen Blick darauf zu werfen und ihn mit Euch zu diskutieren.
Wie hängen Kooperation, Konkurrenz und Konflikt zusammen?
Meine Masterthesis »Spiel mit mir, ich spiel mit dir. Kooperation und Spiel als Gestaltungsprinzipien von Organisation und Geschäftsmodell« aus dem Jahr 2006 behandelte im ersten Teil das Verhältnis der drei grundlegenden Handlungsmuster Kooperation, Konkurrenz und Konflikt. Meine damalige Untersuchung ergab, dass es in alltäglichen Situationen in der Regel einen engen Zusammenhang zwischen Kooperation, Konkurrenz und Konflikt gibt, da »in der Realität keine ›reinen‹ Verwirklichungen von Konkurrenz […] und Kooperation aufzufinden sind«. (1) Die verschiedenen Interaktionsformen gehen fließend ineinander über, wechseln sich ab oder stehen nebeneinander: »It should, perhaps, be noted that there are probably very few, if any, real-life situations which […] are ›purely‹ co-operative or competitive. Most situations of everyday life involve a complex set of goals and sub-goals.« (2)
Daraus entwickelte sich damals meine These, dass Konflikt- und Konkurrenzverhalten Ausgangspunkt, Grundlage und Begleiterscheinung von Kooperation sind. Ihre bewusste Integration ist demnach eine entscheidende Anforderung, um gelungene Kooperationen zu realisieren. Konflikt und Konkurrenz werden erst zu Gegenpolen von Kooperation, wenn dies nicht geschieht.
Deshalb habe ich in der Masterthesis versucht, Kooperation durch ihre (vermeintlichen) Gegenbegriffe Konflikt und Konkurrenz zu definieren. Dabei habe ich Abgrenzungen vorgenommen und Gemeinsamkeiten festgestellt. Und ich habe herausgearbeitet, zu welchen Bedingungen Konflikt und Konkurrenz mit Kooperation jeweils vereinbar sind oder, anders gesagt: wie Kooperation unter konflikthaften und kompetitiven Umständen realisiert werden kann.
Wer von Euch tiefer eintauchen möchte, kann hier nachlesen.
Kooperation, Konflikt und Konkurrenz kommen selten in Reinform vor. Konkurrenz ist die berührungslose Interaktion auf das gleiche Ziel hin; wer als erster das Ziel erreicht, gewinnt. Konflikt ist die Auseinandersetzung mit intensiver „Berührung“ um das gleiche Ziel, nämlich den Konfliktpartner aus dem Revier (= Ziel) zu verdrängen. Kooperation ist die koordinierte Interaktion für die gemeinsame Zielerreichung.
Wann ist Konkurrenz positiv?
Ich möchte gerne hier und heute eine lebhafte und kontroverse Diskussion einflechten, die vor einiger Zeit auf meiner Facebook-Timeline stattfand. Ich hatte dort am 11. Februar die Frage gestellt: »Wettbewerb und Konkurrenz haben oft ein negatives Image. Was sind für Euch positive und entwicklungsförderliche Aspekte dieser Interaktionsform?« In dem darauf folgenden digitalen Dialog mit 151 Kommentaren (plus 57 unter einem identischen Post in einer nicht-öffentlichen Gruppe) kamen sehr viele unterschiedliche positive Aspekte zur Sprache: Es wurde besprochen, was gut an Konkurrenz sein kann und welche Bedingungen es braucht, damit »gute Konkurrenz« realisiert werden kann. Gleichzeitig wurde deutlich, dass diese Frage sehr politisch aufgeladen ist, aus unterschiedlicher politischer Perspektive tendenziell positiv oder negativ bewertet wird und entweder Identifikation oder Skepsis gegenüber unserer wettbewerbsorientierten Gesellschaft spiegelt. An dieser Stelle danke ich allen Beteiligten für diesen Beweis der »wisdom of the crowd«!
Zwischenzeitlich habe ich die reichhaltigen positiven Aspekte in eine Ordnung gebracht: Ich sehe darin einen Schatz, der hilfreich sein kann, um das Verhaltensmuster der Konkurrenz nicht als Gegenpol zu definieren, sondern in Kooperationsbeziehungen zu integrieren. Ganz konkret kann dieser Schatz Dir und mir dabei helfen, eigene konkurrierende Verhaltensmuster bewusster wahrzunehmen und positiv zu steuern und konkurrierendes Verhalten Anderer wertschätzend anzunehmen und damit zu arbeiten.
Ich werde die positiven Aspekte von Konkurrenz ab jetzt in einer Reihe von Blogposts mit Euch teilen und lade Euch zur weiteren Diskussion ein.
Pluspunkt 1: Konkurrenz aktiviert
Wenn ich Konkurrenz erlebe, kann mich das zum Handeln motivieren. Ich sehe ein interessantes Geschehen und möchte mit einsteigen. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich untätig bleibe und das interessante Geschehen verpasse.
Konkurrenz kann meinen Antrieb verstärken, Ziele anzustreben, entweder indem ich meine Ziele am Wettbewerbsgeschehen ausrichte oder meine Ziele bewusst in Abgrenzung dazu definiere. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass meine Ziele blass bleiben und mein Handeln richtungslos ist.
Wenn ich mich in einen Wettbewerb involviere, kann ein starker Anreiz entstehen, zu trainieren und diszipliniert und langfristig zu handeln. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich nur sporadisch, zufällig und kurzfristig agiere.
Konkurrenz kann Gleichgültigkeit und Resignation aushebeln, indem ich Teil einer intensiven Interaktion werde, die mich in ihren Bann zieht und mein Handeln auf ein Ziel ausrichtet. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich nicht in Genuß dieser zielgerichteten Intensität komme.
Konkurrenz kann bewirken, dass ich die Beobachterrolle verlasse, mit Haut und Haar bei einer guten Sache bin und mich dafür einsetze. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich mich bequem in der Beobachterposition einrichte, keine Position beziehe und mir die Finger nicht schmutzig mache.
Konkurrenz kann mich zur Umsetzung motivieren und dazu führen, dass sich eine gute Lösung durchsetzt, dass sie anerkannt wird und sich manifestiert. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass viele gute Ideen und Lösungen niemals das Licht der Welt erblicken.
Soweit der erste Konkurrenz-Pluspunkt »Aktivierung«.
Wie wirken diese Gedanken auf Euch? Spürt Ihr schon ein aktivierendes Kribbeln in Euren Fingern oder kommen ungute Gefühle dabei auf? Wie seht Ihr die Übergänge zu den Handlungsmustern Kooperation und Konflikt? In welche kleinen und großen Wettbewerbe seid Ihr involviert?
Ich wünsche Euch ein gutes Händchen bei der Integration des aktivierenden Pluspunkts in Euren beruflichen und privaten Alltag und bin gespannt auf Eure Erfahrungsberichte. Ich freue mich jetzt schon darauf, den nächsten Konkurrenz-Pluspunkt mit Euch zu teilen, verehrte Leserinnen und Leser!
1 Vgl. Manfred Sader: Psychologie der Gruppe, völl. Neubearb. d. 2. Aufl., München u. a. 1991, S. 136 f., zit. nach: Bernd Martens: Kommunikation und Kooperation als Schlüsseldimensionen erfolgreicher Gruppenarbeit, Aachen 1999, S. 91.
2 Morton Deutsch: A Theory of Cooperation and Competition, in: Human Relations, Nr. 2 (1949), S. 132, zit. nach: Erika Spieß: Kooperatives Handeln in Organisationen. Theoriestränge und empirische Studien, München 1996, S. 17.
Mein neuer Blog: Die Suchbewegung geht weiter
Verehrte Leserinnen und Leser, ich grüße Euch herzlich. Heute bringe ich meinen Blog mit dem Namen Suchbewegung auf die digitale Straße.
Neben dem Suchen, der Tätigkeit, die sich mit Vorhandenem und Offensichtlichem nicht zufrieden gibt, geht es an diesem Ort auch um das Finden, also um die Tätigkeit, die Ungeplantes und Überraschendes empfängt und aufgreift. Die Such- und Findebewegung dieses Blogs bezieht sich auf individuelle und kollektive Themen, die sich in den künftigen Beiträgen widerspiegeln werden.
Teil meiner Such- und Findebewegung ist die Frage, woraus wir individuell und kollektiv unsere Identität und Handlungsmotivation beziehen: Ist es die Vergangenheit, die uns bis dato zu dem gemacht hat, was wir sind, die Gegenwart, die unendlich reich an Erfahrungsmöglichkeiten ist und uns jeden Tag einen Neuanfang ermöglicht, oder die Zukunft, in der wir uns unabhängig von Vergangenheit und Gegenwart ganz neu erfinden können? Wie können wir diese Zeitperspektiven fruchtbar zusammenbringen? Wo und wie können wir suchen und fündig werden?
Auf der individuellen Ebene mache ich hier einen Teil meines Entwicklungs-Prozesses transparent und setze damit einen Kontrapunkt zu meiner statischen Website, die mein berufliches Profil darstellt. Im Blog gebe ich mir die Freiheit, von meinem bisherigen Profil abzuweichen und ins Offene zu gehen, Themen zu besprechen, die mich gerade beschäftigen und die ich mit Euch, meinem Netzwerk, aktuell diskutiere.
Dabei spielen sicherlich auch meine traditionellen Kernthemen Community, Innovation und Coworking eine Rolle. Und es können andere Themen ins Zentrum rücken, die ich im Verlauf als neue Kernthemen in mein Profil integrieren kann. Ich kann hier meine aktuellen Projekte vorstellen und genauso Projekte von Euch besprechen, denen ich mehr Aufmerksamkeit wünsche. Ich kann hier Dialoge mit Euch anstoßen, sei es in Form von Interviews, Gastbeiträgen oder kollaborativ verfassten Texten. Natürlich ist hier auch Raum für die Besprechung von Büchern und anderen Medien (vielleicht sogar von Euch produzierte), die mich bei meiner Such- und Findebewegung besonders geprägt haben und für Eure eigene Reise anregend sein können.
Ich will sukzessive mein umfangreiches Archiv sichten — einen Einblick bietet schon das Projekt-Portfolio auf meiner Website — und in diesem Prozess können wertvolle Fundstücke auftauchen, die hier das Licht der Öffentlichkeit erblicken können. Auf diese kann ich einen frischen Blick werfen und ihren Gehalt für heutige Fragestellungen und Aktivitäten extrahieren; ich kann sie aber auch durch das Ritual des Schreibens verabschieden.
Heute ein uralter Neubeginn: Die Such- und Findebewegung geht weiter, das Nachforschen, Ausschau halten, Stöbern, Erfragen, Fahnden, Fährten lesen, Nachgehen, das durch Zufall auf etwas Stoßen, Antreffen, Aufspüren, das Orten, Entdecken und Begegnen. Euch begegnen. Ab jetzt auch auf diesem Kanal, verehrte suchende und findige Leserinnen und Leser!