Verehrte Leserinnen und Leser, heute greife ich einen Themenkomplex auf, der mich seit langem beschäftigt. Ich erlaube mir, hier und heute einen frischen Blick darauf zu werfen und ihn mit Euch zu diskutieren.
Wie hängen Kooperation, Konkurrenz und Konflikt zusammen?
Meine Masterthesis »Spiel mit mir, ich spiel mit dir. Kooperation und Spiel als Gestaltungsprinzipien von Organisation und Geschäftsmodell« aus dem Jahr 2006 behandelte im ersten Teil das Verhältnis der drei grundlegenden Handlungsmuster Kooperation, Konkurrenz und Konflikt. Meine damalige Untersuchung ergab, dass es in alltäglichen Situationen in der Regel einen engen Zusammenhang zwischen Kooperation, Konkurrenz und Konflikt gibt, da »in der Realität keine ›reinen‹ Verwirklichungen von Konkurrenz […] und Kooperation aufzufinden sind«. (1) Die verschiedenen Interaktionsformen gehen fließend ineinander über, wechseln sich ab oder stehen nebeneinander: »It should, perhaps, be noted that there are probably very few, if any, real-life situations which […] are ›purely‹ co-operative or competitive. Most situations of everyday life involve a complex set of goals and sub-goals.« (2)
Daraus entwickelte sich damals meine These, dass Konflikt- und Konkurrenzverhalten Ausgangspunkt, Grundlage und Begleiterscheinung von Kooperation sind. Ihre bewusste Integration ist demnach eine entscheidende Anforderung, um gelungene Kooperationen zu realisieren. Konflikt und Konkurrenz werden erst zu Gegenpolen von Kooperation, wenn dies nicht geschieht.
Deshalb habe ich in der Masterthesis versucht, Kooperation durch ihre (vermeintlichen) Gegenbegriffe Konflikt und Konkurrenz zu definieren. Dabei habe ich Abgrenzungen vorgenommen und Gemeinsamkeiten festgestellt. Und ich habe herausgearbeitet, zu welchen Bedingungen Konflikt und Konkurrenz mit Kooperation jeweils vereinbar sind oder, anders gesagt: wie Kooperation unter konflikthaften und kompetitiven Umständen realisiert werden kann.
Wer von Euch tiefer eintauchen möchte, kann hier nachlesen.
Kooperation, Konflikt und Konkurrenz kommen selten in Reinform vor. Konkurrenz ist die berührungslose Interaktion auf das gleiche Ziel hin; wer als erster das Ziel erreicht, gewinnt. Konflikt ist die Auseinandersetzung mit intensiver „Berührung“ um das gleiche Ziel, nämlich den Konfliktpartner aus dem Revier (= Ziel) zu verdrängen. Kooperation ist die koordinierte Interaktion für die gemeinsame Zielerreichung.
Wann ist Konkurrenz positiv?
Ich möchte gerne hier und heute eine lebhafte und kontroverse Diskussion einflechten, die vor einiger Zeit auf meiner Facebook-Timeline stattfand. Ich hatte dort am 11. Februar die Frage gestellt: »Wettbewerb und Konkurrenz haben oft ein negatives Image. Was sind für Euch positive und entwicklungsförderliche Aspekte dieser Interaktionsform?« In dem darauf folgenden digitalen Dialog mit 151 Kommentaren (plus 57 unter einem identischen Post in einer nicht-öffentlichen Gruppe) kamen sehr viele unterschiedliche positive Aspekte zur Sprache: Es wurde besprochen, was gut an Konkurrenz sein kann und welche Bedingungen es braucht, damit »gute Konkurrenz« realisiert werden kann. Gleichzeitig wurde deutlich, dass diese Frage sehr politisch aufgeladen ist, aus unterschiedlicher politischer Perspektive tendenziell positiv oder negativ bewertet wird und entweder Identifikation oder Skepsis gegenüber unserer wettbewerbsorientierten Gesellschaft spiegelt. An dieser Stelle danke ich allen Beteiligten für diesen Beweis der »wisdom of the crowd«!
Zwischenzeitlich habe ich die reichhaltigen positiven Aspekte in eine Ordnung gebracht: Ich sehe darin einen Schatz, der hilfreich sein kann, um das Verhaltensmuster der Konkurrenz nicht als Gegenpol zu definieren, sondern in Kooperationsbeziehungen zu integrieren. Ganz konkret kann dieser Schatz Dir und mir dabei helfen, eigene konkurrierende Verhaltensmuster bewusster wahrzunehmen und positiv zu steuern und konkurrierendes Verhalten Anderer wertschätzend anzunehmen und damit zu arbeiten.
Ich werde die positiven Aspekte von Konkurrenz ab jetzt in einer Reihe von Blogposts mit Euch teilen und lade Euch zur weiteren Diskussion ein.
Pluspunkt 1: Konkurrenz aktiviert
Wenn ich Konkurrenz erlebe, kann mich das zum Handeln motivieren. Ich sehe ein interessantes Geschehen und möchte mit einsteigen. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich untätig bleibe und das interessante Geschehen verpasse.
Konkurrenz kann meinen Antrieb verstärken, Ziele anzustreben, entweder indem ich meine Ziele am Wettbewerbsgeschehen ausrichte oder meine Ziele bewusst in Abgrenzung dazu definiere. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass meine Ziele blass bleiben und mein Handeln richtungslos ist.
Wenn ich mich in einen Wettbewerb involviere, kann ein starker Anreiz entstehen, zu trainieren und diszipliniert und langfristig zu handeln. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich nur sporadisch, zufällig und kurzfristig agiere.
Konkurrenz kann Gleichgültigkeit und Resignation aushebeln, indem ich Teil einer intensiven Interaktion werde, die mich in ihren Bann zieht und mein Handeln auf ein Ziel ausrichtet. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich nicht in Genuß dieser zielgerichteten Intensität komme.
Konkurrenz kann bewirken, dass ich die Beobachterrolle verlasse, mit Haut und Haar bei einer guten Sache bin und mich dafür einsetze. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass ich mich bequem in der Beobachterposition einrichte, keine Position beziehe und mir die Finger nicht schmutzig mache.
Konkurrenz kann mich zur Umsetzung motivieren und dazu führen, dass sich eine gute Lösung durchsetzt, dass sie anerkannt wird und sich manifestiert. Ohne Konkurrenz kann es passieren, dass viele gute Ideen und Lösungen niemals das Licht der Welt erblicken.
Soweit der erste Konkurrenz-Pluspunkt »Aktivierung«.
Wie wirken diese Gedanken auf Euch? Spürt Ihr schon ein aktivierendes Kribbeln in Euren Fingern oder kommen ungute Gefühle dabei auf? Wie seht Ihr die Übergänge zu den Handlungsmustern Kooperation und Konflikt? In welche kleinen und großen Wettbewerbe seid Ihr involviert?
Ich wünsche Euch ein gutes Händchen bei der Integration des aktivierenden Pluspunkts in Euren beruflichen und privaten Alltag und bin gespannt auf Eure Erfahrungsberichte. Ich freue mich jetzt schon darauf, den nächsten Konkurrenz-Pluspunkt mit Euch zu teilen, verehrte Leserinnen und Leser!
1 Vgl. Manfred Sader: Psychologie der Gruppe, völl. Neubearb. d. 2. Aufl., München u. a. 1991, S. 136 f., zit. nach: Bernd Martens: Kommunikation und Kooperation als Schlüsseldimensionen erfolgreicher Gruppenarbeit, Aachen 1999, S. 91.
2 Morton Deutsch: A Theory of Cooperation and Competition, in: Human Relations, Nr. 2 (1949), S. 132, zit. nach: Erika Spieß: Kooperatives Handeln in Organisationen. Theoriestränge und empirische Studien, München 1996, S. 17.